Im modernen Komfortreisecar startete unser Ausflug in Zürich mit einer schönen Fahrt über Land ent-
lang der Aare durch die Naturschutzgebiete des Auenschutzparks Aargau; mit dem Ziel bzw. Höhepunkt
“Schloss Wildegg”. Den ganzen Tag strahlte die heisse Sonne vom Himmel! Im Garten des stilvoll ein-
gerichteten Landgasthauses “Leuen” in Uitikon genossen wir schon bald beim Kaffeehalt das gemütli-
che Beisammensein. Auch für das Mittagessen in Seengen im Restaurant “Eichberg” – mit Hof und
Gärtnerei und prächtiger Aussicht – wurde durch die Organisatoren wiederum ein schöner Ort ausge-
sucht. Das Dreigang-Menü in diesem Ambiente war sehr fein und es wurde auch ein Supplement/Nach-
schlag serviert. Beim “Barocken Schloss- und Gartenerlebnis” in Möriken-Wildegg angekommen, wur-
den wir vom jungen (und hübschen ) Knecht Peter des 18. Jahrhunderts empfangen und durch das
Schloss geführt – vom Keller bis zum Dach. Jene Teilnehmenden, die weniger gut zu Fuss waren,
kamen mit der damaligen Magd in den Genuss der rund einstündigen Führung. Das Schloss mit dem
Schaugarten alter Kulturpflanzen von ProSpeciaRara liegt etwas oberhalb des Dorfes am Ende eines
felsigen Ausläufers des Chestenbergs und gehört seit Anfang 2011 dem Kanton Aargau. Der Platz für
diesen Bericht reicht vermutlich nicht aus, um die interessanten Erzählungen von Knecht Peter detail-
getreu wiederzugeben. Deshalb nur ein kleiner Abriss davon. Er führte uns durch einen düsteren Stollen
zu den dunklen, alten Pferdeständen. Früher war dieser Stall aber nicht dunkel, denn wie alle Schlösser
wurde auch dieses im 17. Jh. umgebaut und vergrössert. Da der Durchgang für die Pferde dadurch
verunmöglicht wurde, baute man zusätzliche Stallungen. Dort war auch der Schlafplatz der Knechte,
wo hingegen die Mägde ihre Kammer im Schloss hatten. Nebst der Magd gab es auch eine Köchin und
ein Erzieher/Lehrer für die Kinder sowie ein Kutscher und einen Jäger. Die Jagd war damals eine wich-
tige Freizeitbeschäftigung. An den Gemäuern ist heute noch gut erkennbar, wie die Habsburger die
ersten Steine aus der nahen Umgebung gesetzt hatten. Schön zu erkennen, wie die Geschichte in
dieser Wand versteckt ist. Schon die damalige Herrschaft legte Wert darauf, dass Besuchende Auskunft
über das Schloss erhielten. Deshalb wurden auch die Knechte gut unterrichtet. Knecht Peter führte uns
dann einen Zwischenstock höher zur Kornschütte. Über Jahrtausende war das Getreide das wichtigste
Nahrungsmittel für Mensch und Tier. Die hier gelagerte Gerste mit wenig Klebstoff brauchte man für
Suppe und Müesli, Weizen mit hohem Glutenanteil wurde zu Brot verarbeitet. Um es haltbar zu machen,
wurde es zweimal gebacken und so erhielten die Knechte viele Kalorien für ihre schwere Arbeit, die sie
verrichten mussten. Heute werden in diesem ehemaligen Kornlager die einfachen, landwirtschaftlichen
Geräte wie Sense, Dreschknebel, Rechen, Dreschmaschine und Mühle ausgestellt. Der Pflug wurde
entweder von Pferden oder Ochsen gezogen, aber bei armen Bauern auch von Menschenkraft, was
doch Einiges abverlangt hatte! Es waren schwierige Zeiten. Man war vom Wetter abhängig, welches
bei schlechter Ernte über Hunger oder keinen Hunger entschied. Umso wichtiger war es zu dieser Zeit,
dass man auch alles verwertete. In einem weiteren Raum einen Stock höher zeugen Wappen und
Portraits von den bisherigen Herrschaften. Knecht Peter erzählte uns über seine aus der Zeit des 18.
Jahrhunderts. Die Geschichte fängt um 1470 an. Die Schlossherren und Besitzer der umliegenden
Ländereien hatten das Recht, Steuern einzuziehen, Gerichtsverfahren abzuhandeln und waren auch
verantwortlich für den Strassenunterhalt. Sie waren auch Ansprechperson für die umliegenden Dörfer
wie Holderbank oder Möriken. Wildegg wurde erst später mit der Industrialisierung bedeutend. Wiede-
rum einen Stock höher gab uns Schlossknecht Peter in der reich verzierten Eingangshalle mit Aussicht
auf die umliegenden Dörfer und Schlösser anhand der Wandmalereien einen kurzen, geschichtlichen
Abriss. Um 1230 bauten die Habsburger hier einen Wachtturm mit dem Zweck, das Tal zu überwachen.
1415 eroberten die Berner den ganzen Aargau. Der Wachtturm wurde als Kornkammer genutzt und
ging von den Habsburgern in den Besitz der Berner über. Das Schloss stand dann längere Zeit leer
und wurde um 1476 von der Familie Effinger erworben. Sämtliches umliegende Land und Leute mit
Bauernhöfen, einer Ziegelei und Weinberge gingen in dessen Besitz über. Die sehr wohlhabende Fa-
milie Effinger bewohnte das Schloss Wildegg aussergewöhnlich lange, von 1476 bis 1912. Im 18. Jahr-
hundert betraf die Französische Revolution auch die Schweiz. Effingers konnten aber ihren Besitz be-
halten. In dieser Zeit lebten die Herrschaften des Knechts Peter, Sofie von Erlacher-Effinger und ihr
Halbbruder Albert Effinger, auf dem Schloss. Die ausgestellten Gegenstände stammen aus dessen Zeit
und Besitz. Weiter erklärte Knecht Peter die Bedeutung der Wappen. Die abgebildeten Knollen deuten
auf die Anzahl der Ländereien. Danach führte er uns in die Küche. Die Küche war eigentlich der wich-
tigste Ort im Schloss, denn hier war es immer warm, hier unterhielt man sich und hier wurde das Essen
den Jahreszeiten entsprechend durch altertümliche Techniken haltbar gemacht. Bemerkenswert ist der
über der Feuerstelle mechanisch angetriebene Spiess, aber auch ein ca. 4 Meter tiefer Schacht. Darin
wurde das Regenwasser als Trinkwasser und für den Abwasch gesammelt. Das Abwasser aus dem
Steinbecken am Fenster wurde dann einfach an der Aussenfassade abgeleitet. Zu dieser Zeit gab es
ja weder fliessendes Wasser, noch Strom, noch eine Heizung. Ein weiteres interessantes Utensil: Die
Dochtschere. Früher brannten die Kerzendochte nicht ab, sondern mussten immer wieder zurückge-
schnitten werden. Weiter zeigte uns Schlossknecht Peter das Herzstück des Schlosses; den Salon.
Hier empfing man Gäste, hier hat man gegessen und machte Büroarbeiten. Und in den Fensternischen
zwischen den dicken Mauern, wo viel Licht war, verrichteten die Frauen von Stand, welche nicht kör-
perlich gearbeitet hatten, Handarbeiten wie Nähen und Stricken. In diesem Raum wurde auch musiziert
und getanzt, was für den Adel sehr wichtig war. Das im Salon präsentierte Porzellan, wie auch Kaffee
oder Trinkschokolade, wurde in dieser Zeit bekannt und aus anderen Kolonien eingeführt – für den Adel
ein enormer gesellschaftlicher Wert. Wieder einen Stock höher im Raum mit den Portraits der Schloss-
herren erfuhren wir einiges Spannendes über deren Werdegang. Die Familie Effinger hatte einen bis
nach Bern reichenden Namen mit Rang und Klang. Jedoch erregte dann insbes. die ausgestellte Rit-
terrüstung, ein Kettenhemd, unsere Aufmerksamkeit. Bernhard Effinger wurde zur Verteidigung der
Stadt Wien zum Kampf gegen die Osmanen/die Türken einberufen. Dabei wurde auch das Kettenhemd
des Fürsten Bernhard Effinger zurückgelassen und kam so wieder ins Schloss Wildegg zurück. Mit
solchen privaten Sammlungen entstand auch das Museum, welches heute durch das Landesmuseum
verwaltet wird. Schliesslich zeigte uns Knecht Peter noch den Schlafraum der Mägde, welche sich das
Bett bei wechselnden Schichten teilten und es auch zu zweit nutzten, um sich warm zu halten. Die
Duvets bestanden aus gesammeltem Laub. Betreffend Hygiene widersprach Knecht Peter der gängi-
gen Meinung, die Mägde seien schmutzig gewesen und hätten gestunken, denn sie wuschen sich täg-
lich mittels Waschschale und Krug auf dem Zimmer. Auch die Unterkleider wurden regelmässig gewa-
schen. Knecht Peter erzählte auch von der Beziehung zwischen den Untertanen und ihren Herren.
Manche Diener lebten ihr Leben lang im Schloss, wodurch durchaus eine engere Beziehung, mit einer
gewissen Herzlichkeit, entstehen konnte. Neben der Magd-Kammer befindet sich die Rüstkammer. Der
Sage nach soll eine Magd im 18. Jh. des Nachts einen Weissen Ritter gesehen haben, der von der
Rüstkammer aus durch die Mauern durch einen anderen Raum gegangen und dann wieder verschwun-
den sei. Heute sagt man, dass im Herbst bei Nebel diese Figur manchmal in der Gegend von Möriken
auftauchen soll. Ob bei solchen Beobachtungen vielleicht auch der Genuss eines guten Tropfens einen
gewissen Einfluss hat, sei dahingestellt… Weiter gings zum Dachgeschoss, einem grossen, leeren,
hohen Raum. Der wurde zur Lagerung von Lebensmitteln sowie für nicht genutzte Möbel verwendet.
Auch als Waschraum war dieser Raum aufgrund seiner grossen Platzverhältnisse wichtig. Von diesem
Dachgeschoss führt eine weitere Treppe zum obersten Dachgeschoss, welches aber für Besuchende
gesperrt ist. Diesen Platz überlässt man nämlich den tierischen Kreaturen, den Dohlen, als Wohnraum.
Am Schluss seiner interessanten Führung empfahl uns Knecht Peter, noch etwas Zeit im prächtigen
Schlossgarten zu verbringen. Wir waren uns einig, dass tatsächlich ein erneuter Besuch dieser präch-
tigen Anlage lohnend wäre. Allein im Garten könnte man sich den ganzen Tag verweilen und die Zeit
mit den vielfältigen, schön und strukturiert angelegten Bepflanzungen geniessen. Nach kurzem, indivi-
duellem Aufenthalt in der Anlage erfolgte die Rückreise dann nicht mehr über Land, sondern auf direk-
tem Weg über die teilweise verstopfte Autobahn. Es war ein schöner Ausflug, vielen Dank dem Orga-
nisator Christian Russi!
Marianne Wälchli-Moser